"... und mir versicherten, dass ich jeder Zeit willkommen sei."
(S. 475)
"Nach Jahren kehrt Heather zurück nach Kolchis. In das Sanatorium, in das sie als Teenager evakuiert wurde – durch eine Zeitreise. Heather leidet seitdem, wie viele Evakuierte, unter »Phantomerinnerungen« und dem Schmerz der Einsamkeit, denn sie hat ein Leben und eine Zukunft zurückgelassen, die sie kaum gekannt hat. Sie hofft, innere Ruhe zu finden, doch auch Kolchis hat sich verändert. Das Sanatorium ist verfallen, die übrig gebliebenen Bewohner haben sich in ihre eigene Welt zurückgezogen. Matthias, der aus der Zeit der Bauernkriege evakuiert wurde, wird für Heather dennoch zu einem Vertrauten, der ihr zeigt, dass Kapitulation das Ende von Menschlichkeit bedeutet." (Verlagsinformation)
Der Autor entführt uns in einen Zeitpunkt der Zukunft, an dem die Menschheit all die Probleme, die uns derzeit so umtreiben, offenbar überwunden hat: die verschiedenen Formen der Diskriminierung, Armut und Umweltzerstörung scheinen kein Thema mehr zu sein. In diesen gesegneten Verhältnissen leben unter all den anderen auch Menschen, die aus einer anderen Zeit stammen. Sie wurden von extra ausgebildeten Gesandten aus der Vergangenheit "abgeholt", um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Man rettet besonders gefährdete oder leidende Menschen. Keine historisch wichtigen Menschen, denn auf keinen Fall darf die Vergangenheit durch eine solche Aktion entscheidend beeinflusst werden.
"Man war der Meinung, sich durch die Evakuierungen von einer Last zu befreien, einer historischen Schuldigkeit, auf die man mit einem entsprechenden Programm reagieren müsse." (S: 227)
Heather, die Erzählerin, ist eine solche Evakuierte: 1983 als Hannah Hoffmann in der damaligen DDR geboren, wird sie 1998 als Teenager abgeholt. Sie weiß nicht einmal sicher, warum: vermutlich, denkt sie, wäre sie später an Diabetes Typ 1 gestorben; es könne aber auch sein, dass sie, ein unverstandenes und einsames Kind, ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt hätte - sie weiß es nicht. Sieben Jahre dauerte ihre Eingewöhnung, danach führte sie selbst Evakuierungen (man nennt sie Rettungsmissionen) durch.
Die Geschichte setzt zu einem Zeitpunkt ein, als bereits keine solchen Rettungsmissionen mehr stattfinden. Die Sanatoriumsanlage Kolchis, die einst dazu diente, evakuierte Menschen wie Heather behutsam in ihre "neue Heimatzeit" einzuführen, ist außer Betrieb, notdürftig instand gehalten und bewohnt von einigen Unentwegten, die damit beschäftigt sind, ihre eigenen Zeitreisen zu analysieren. Was bedeutet die Einstellung der Rettungsmissionen für sie? War es der falsche Weg, aus ihrer eigenen Zeit in eine andere zu flüchten? Besonders Matthias, ein Söldner aus der Zeit der Bauernkriege (er erzählt sehr anschaulich von der Schlacht bei Frankenhausen im Jahr 1525) ringt unentwegt mit seinem neuzeitlichen Blick auf seine Geburtsepoche. Mit ihm freundet sich Heather an, und er erweist sich mit seiner inneren Kraft und Sensibilität als eine der stärksten Figuren des Romans: In einer Zeit, in der die Versorgung mit Lebensmitteln offenbar für niemanden mehr ein Thema ist, beschäftigt er sich mit dem Bau von einfachen Pflügen und Heuwendern, mit Geräten also, die zu seiner Heimatzeit entscheidende Erleichterungen gebracht hätten - wie ein Entwicklungshelfer, der Seminole-Indianer mit Tretnähmaschinen beglücken will (beliebiges Beispiel). "Schließlich war er in seinen Überlegungen schon so weit in die ja doch unsinnigen Versuche verstrickt, die Vergangenheit aus der Zukunft heraus zu verändern." (S. 376)
Es ist schwer zu sagen, worin die (für mein Empfinden) überragende Anziehungskraft dieses Romans liegt. Friedrich erzählt mit einer sehr behutsamen und trotzdem ausdrucksvollen Sprache, die sofort ein Bild des Schauplatzes entstehen lässt. Das Personal ist ausnahmslos sympathisch, nachdenklich, verantwortungsvoll. Wohin Heathers Reise geht, wird am Ende in einem sehr starken, hoffnungsvollen Bild deutlich. "Die Passagierin" ist ein Buch, das unbedingt zum Hoffen anregt: Nein, es ist nicht alles verloren. Wir müssen nur die Augen und Ohren aufmachen.
"Ihr kramt nach dem individuellen Trauma, nach dem persönlichen Leid, als wäre das Leid, das einem anderen widerfährt, nicht auch für alle spürbar." (S. 75)
In jeder Zeit willkommen
"... und mir versicherten, dass ich jeder Zeit willkommen sei."
(S. 475)
"Nach Jahren kehrt Heather zurück nach Kolchis. In das Sanatorium, in das sie als Teenager evakuiert wurde – durch eine Zeitreise. Heather leidet seitdem, wie viele Evakuierte, unter »Phantomerinnerungen« und dem Schmerz der Einsamkeit, denn sie hat ein Leben und eine Zukunft zurückgelassen, die sie kaum gekannt hat. Sie hofft, innere Ruhe zu finden, doch auch Kolchis hat sich verändert. Das Sanatorium ist verfallen, die übrig gebliebenen Bewohner haben sich in ihre eigene Welt zurückgezogen. Matthias, der aus der Zeit der Bauernkriege evakuiert wurde, wird für Heather dennoch zu einem Vertrauten, der ihr zeigt, dass Kapitulation das Ende von Menschlichkeit bedeutet." (Verlagsinformation)
Der Autor entführt uns in einen Zeitpunkt der Zukunft, an dem die Menschheit all die Probleme, die uns derzeit so umtreiben, offenbar überwunden hat: die verschiedenen Formen der Diskriminierung, Armut und Umweltzerstörung scheinen kein Thema mehr zu sein. In diesen gesegneten Verhältnissen leben unter all den anderen auch Menschen, die aus einer anderen Zeit stammen. Sie wurden von extra ausgebildeten Gesandten aus der Vergangenheit "abgeholt", um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Man rettet besonders gefährdete oder leidende Menschen. Keine historisch wichtigen Menschen, denn auf keinen Fall darf die Vergangenheit durch eine solche Aktion entscheidend beeinflusst werden.
"Man war der Meinung, sich durch die Evakuierungen von einer Last zu befreien, einer historischen Schuldigkeit, auf die man mit einem entsprechenden Programm reagieren müsse." (S: 227)
Heather, die Erzählerin, ist eine solche Evakuierte: 1983 als Hannah Hoffmann in der damaligen DDR geboren, wird sie 1998 als Teenager abgeholt. Sie weiß nicht einmal sicher, warum: vermutlich, denkt sie, wäre sie später an Diabetes Typ 1 gestorben; es könne aber auch sein, dass sie, ein unverstandenes und einsames Kind, ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt hätte - sie weiß es nicht. Sieben Jahre dauerte ihre Eingewöhnung, danach führte sie selbst Evakuierungen (man nennt sie Rettungsmissionen) durch.
Die Geschichte setzt zu einem Zeitpunkt ein, als bereits keine solchen Rettungsmissionen mehr stattfinden. Die Sanatoriumsanlage Kolchis, die einst dazu diente, evakuierte Menschen wie Heather behutsam in ihre "neue Heimatzeit" einzuführen, ist außer Betrieb, notdürftig instand gehalten und bewohnt von einigen Unentwegten, die damit beschäftigt sind, ihre eigenen Zeitreisen zu analysieren. Was bedeutet die Einstellung der Rettungsmissionen für sie? War es der falsche Weg, aus ihrer eigenen Zeit in eine andere zu flüchten? Besonders Matthias, ein Söldner aus der Zeit der Bauernkriege (er erzählt sehr anschaulich von der Schlacht bei Frankenhausen im Jahr 1525) ringt unentwegt mit seinem neuzeitlichen Blick auf seine Geburtsepoche. Mit ihm freundet sich Heather an, und er erweist sich mit seiner inneren Kraft und Sensibilität als eine der stärksten Figuren des Romans: In einer Zeit, in der die Versorgung mit Lebensmitteln offenbar für niemanden mehr ein Thema ist, beschäftigt er sich mit dem Bau von einfachen Pflügen und Heuwendern, mit Geräten also, die zu seiner Heimatzeit entscheidende Erleichterungen gebracht hätten - wie ein Entwicklungshelfer, der Seminole-Indianer mit Tretnähmaschinen beglücken will (beliebiges Beispiel). "Schließlich war er in seinen Überlegungen schon so weit in die ja doch unsinnigen Versuche verstrickt, die Vergangenheit aus der Zukunft heraus zu verändern." (S. 376)
Es ist schwer zu sagen, worin die (für mein Empfinden) überragende Anziehungskraft dieses Romans liegt. Friedrich erzählt mit einer sehr behutsamen und trotzdem ausdrucksvollen Sprache, die sofort ein Bild des Schauplatzes entstehen lässt. Das Personal ist ausnahmslos sympathisch, nachdenklich, verantwortungsvoll. Wohin Heathers Reise geht, wird am Ende in einem sehr starken, hoffnungsvollen Bild deutlich. "Die Passagierin" ist ein Buch, das unbedingt zum Hoffen anregt: Nein, es ist nicht alles verloren. Wir müssen nur die Augen und Ohren aufmachen.
"Ihr kramt nach dem individuellen Trauma, nach dem persönlichen Leid, als wäre das Leid, das einem anderen widerfährt, nicht auch für alle spürbar." (S. 75)